Wir freuen uns sehr, dass wir Sie als Keynote Speaker für unsere Fachtagung zur Gewaltfreien Kommunikation am 06.11., gewinnen konnten. Hatten Sie vorher schon mal Kontakt zur Gewaltfreien Kommunikation (GFK) von Dr. Marshall Rosenberg?
Ja, ich kenne das Konzept und finde es gut.
Das Thema der Tagung ist „Kulturwandel gestalten. Entwicklung einer empathischen Beziehungs- und Führungskultur – von der Vision zur Realität.“. Dazu scheint mir Ihr neuestes Buch zu passen, welches am 10.03. erscheinen wird, mit dem Titel „Wie wir die Welt verändern“.
Können Sie uns verraten, ob Sie uns damit den Rücken stärken, bewusst gestaltend die Welt verändern zu können? Oder erwarten uns eher Grenzen der bewussten Einflussnahme?
Nun, „Wie wir die Welt verändern“ argumentiert, dass schöpferisches Denken und Kreativität und überhaupt Weltveränderung viel weniger eine Folge des überragenden Geistes Einzelner ist, als wir glauben, und viel mehr die Folge von Miteinander ist. Also damit zu tun hat, wie wir miteinander umgehen und wie wir uns austauschen. Ich bringe in diesem Buch viele Beispiele, die zeigen, dass, wenn Menschen eine angstfreie Kommunikation gelingt, das sozusagen der Schlüssel ist, um Veränderung überhaupt bewerkstelligen zu können.
Sie müssen zwei Voraussetzungen schaffen. Die eine Voraussetzung ist, Sie dürfen keine Angst haben, Risiken einzugehen. Sie müssen Risiken eingehen, und Sie dürfen diese Risiken nicht fürchten. Da sind natürlich Kommunikation und welche Reaktionen Sie in Ihrer Umwelt erwarten, der Schlüssel. Ein anderer ganz entscheidender Punkt ist, dass Veränderung dadurch geschieht, indem wir Möglichkeitsräume erweitern. Indem wir gewissermaßen erweitern, was wir denken und was wir uns vorstellen können. Das ist ein eminent kollektiver Prozess, bei dem sich Menschen miteinander austauschen müssen.
Wenn wir vorhaben, eine empathische Beziehungs- und Führungskultur zu entwickeln, haben Sie einen Tipp, wie wir das erfolgreich hinbekommen?
Entscheidend scheint mir eine Grundhaltung, die sich aus der Einsicht speist, wie wenig ein Einzelner zu bewerkstelligen vermag, und wie viel wir miteinander können. Also, die Einsicht, wie stark wir aufeinander angewiesen sind. Diese Einsicht wird in unserer sehr individualistisch geprägten Kultur immer noch unterschätzt. Und besonders unterschätzt wird sie in Unternehmenskulturen, in denen immer noch der Mythos vorherrscht, dass man die Leistung von Einzelnen messen kann und belohnen muss, und dass dies der beste Weg sei, um die Produktivität und die Leistung einer Gruppe zu steigern.
Bei unserer Fachtagung werden Sie über ein scheinbar anderes Thema sprechen, welches Sie vor einiger Zeit intensiv beschäftigte, nämlich „Der Sinn des Gebens“. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Themen?
Ja. Mein Buch „Der Sinn des Gebens“ argumentiert, dass Altruismus kein Luxus ist, sondern dass Gruppen grundsätzlich nur funktionieren können, wenn die Mitglieder dieser Gruppen bereit sind, ohne sofort eine Gegenleistung zu verlangen. Wohlgemerkt bedeutet das nicht, sich ausnutzen zu lassen. Aber wenn Sie nicht bereit sind, in Vorleistung zu gehen, und wenn Sie nicht bereit sind, auch einmal 5 gerade sein zu lassen, dann bricht jedes Zusammenleben in Gruppen zusammen, was sich in der Spieltheorie sogar mathematisch beweisen lässt. Das heißt, wenn Sie die Welt verändern wollen, dass MÜSSEN Sie bereit sein zu geben. Denn niemand kann die Welt alleine verändern.
„Der Sinn des Gebens“ – passt das auch darauf, dass Sie Ihren Vortrag bei uns halten?
Oder mal umgekehrt eine typische Frage in der Gewaltfreien Kommunikation:
Was erfüllen Sie sich, wenn Sie Vorträge halten, welchen Sinn hat/ macht das für Sie?
[lacht] Das ist eine sehr schöne Frage. Es macht aus drei Gründen sehr viel Sinn für mich. Das erste ist, dass ich aus der Diskussion mit den Menschen, zu denen ich spreche, und vor allen Dingen MIT denen ich spreche, sehr viel lerne. Sie müssen sich ja die Tätigkeit eines Autors so vorstellen, Schreiben ist ja auch eine Form der Kommunikation, aber über sehr lange Zeiträume hinweg haben Sie nur ein imaginäres Gegenüber. Wenn Sie schreiben, ist das wie ein Gespräch mit Menschen, von dem Sie zwar eine Vorstellung haben, die Sie aber gar nicht kennen. Wenn man dann seinen Lesern begegnet, dann erfährt man, was das für Menschen sind und was in ihren Köpfen ist. Und daraus lerne ich sehr viel. Von einem früheren Buch von mir – Die Glücksformel – haben wir nach 10 Jahren eine erweiterte Neuausgabe gemacht. In der Danksagung habe ich mich zuallererst bei den wahrscheinlich vielen Tausend Zuhörerinnen und Zuhörern bedankt, von denen ich in diesen Vorträgen unendlich viel gelernt habe. Die Fragen dieser Zuhörerinnen und Zuhörer, auf die ich in der Neuausgabe eingehe, haben nämlich das Buch besser gemacht. Der zweite Grund ist die Reaktion des Gegenübers, die einem zeigt, wofür man gearbeitet hat: und diese unmittelbare Reaktion, glauben Sie es mir, ist emotional viel mehr wert als alle Bestsellerauflagen und Honorarabrechnungen. Eine der schönsten Erfahrungen meiner Autorenkarriere war, als ich vor ein paar Jahren von einem Vortrag in Basel zurückkommend, im Flughafenbus in Schönefeld saß und eine Frau neben mir sagte „Ich kenne Sie.“, und ich antwortete „Ich kenne Sie nicht.“. „Ja, Sie sind Stefan Klein.“. Da sagte ich „Ja ja, das stimmt. Woher kennen Sie mich?“ „Sie haben vor 10 Jahren bei uns in Freiburg in einer Schule gesprochen.“
Und der dritte Grund ist, dass man zumindest manchmal etwas in Organisationen kann. Einmal habe in einer großen Firma in Süddeutschland vor Führungskräften gesprochen und es ging um Belohnungssysteme. Ein gutes Jahr später las ich in der Zeitung, dass genau dieses Unternehmen sein Belohnungssystem umgestellt hat und die Bonusregelungen für individuelle Mitarbeiter abgeschafft hat. Vermutlich gab es viele Gründe für diese Veränderung. Aber mein Vortrag hat der Sache bestimmt nicht geschadet, und die Vorstellung, dass da jetzt Menschen zufriedener arbeiten, und zwar ein paar Hunderte oder Tausende, und vielleicht sogar ein erfüllteres Leben haben, die ist doch schön.
Sie schreiben, Sie forschen, Sie gehen in Austausch, … was ist Ihr Treibstoff?
Ja, ganz leicht: Koffein! [lacht] stark gesüßter Espresso. Ohne den kann ich nicht schreiben.
Ja, und es ist Neugierde, da ist ein vollkommen egoistisches Interesse, über bestimmt Themen, die mich beschäftigen, klarer zu werden. Denn es zwingt einen, klar zu denken; dann ist da eine ästhetische Freude, einen Text geschrieben zu haben, der schön ist und gut funktioniert. Das kann sehr befriedigend sein. Es ist auch ein interessantes, intellektuelles Problem, wie macht man das? Und dann am Ende ist, da kommen wir auf das zurück, über das wir gesprochen haben: Die Hoffnung, Du kannst Menschen etwas geben, Du könntest etwas beitragen zu einer menschlicheren Welt.
Zeit, Träume, Geben, Zufall… wie kommen Sie zu „Ihren“ Themen? Oder: wie kommen die Themen zu Ihnen?
Es handelt sich immer um Themen, die mich schon sehr lange interessieren. Die gären in mir und so wie ein Apfel, wenn er reif ist, vom Baum fällt, so wird das dann ein Buch. Mit Leonardo da Vinci, der hat mich schon als Schüler beschäftigt. Und bei dem „Sinn des Gebens“ kann ich es ihnen auf den Tag, das Ereignis genau sagen. Das müsste 1996 gewesen sein – ich müsste im Kalender nachschauen –, da saß ich in einem Flug nach Los Angelos und las Richard Dawkins „Das egoistische Gen“, ein wahnsinnig berühmtes und einflussreiches Buch, das nicht nur das Denken in der Biologie, sondern auch die Praxis des Kapitalismus stark geprägt hat. Ich war damals noch ziemlich jung und las dieses Buch und bewunderte die Rhetorik und die Argumentation, glaubte aber kein Wort. Ich wollte damals ein Essay darüber schreiben. Das habe ich dann nicht gemacht, weil das Thema für mich noch nicht reif war. 22 Jahre später – 2010 – war es reif. In der Finanzkrise 2008 waren ja nicht nur ein paar Banken zusammengebrochen sind, sondern ganze Ideologie zusammengebrochen. Und da war dann für mich klar, jetzt machst Du dieses Buch. Beschäftigt hat es mich aber bereits zwei Jahrzehnte. Und das ist im Grunde allen Büchern so.
Sie haben ja viel zu Papier gebracht – und doch sind Sie auch ein gefragter Redner.
Sind Sie lieber Schriftsteller oder Redner?
Für mich geht das eine nicht ohne das andere. Für mich gehört beides zusammen.
Herr Dr. Klein, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns auf Ihren Vortrag bei unserer Fachtagung.
(Das Gespräch führte Ulrike Michalski)
Dr. Stefan Klein, geboren 1965 in München, ist promovierter Physiker und Philosoph. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er „die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi“. Er gilt heute als der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Sein Buch „Die Glücksformel“ (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen die hoch gelobten Bestseller „Alles Zufall“, „Zeit“, „Der Sinn des Gebens“ und zuletzt „Das All und das Nichts“. Kleins Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in 25 Sprachen übersetzt. Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin und ist Gastprofessor an der Berliner Universität der Künste.