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Mir scheint es, Gott selbst entdeckt zu haben

Ein Beitrag von Ute-Maria Graupner

Im Verhältnis mit meinem Assessor „kämpfte“ ich dafür, das Bedürfnis nach Augenhöhe zu erfüllen, verstand nicht mit allen Sinnen, weshalb es mir nicht gelang und trennte mich von ihm, als ich den Eindruck hatte, dass es mir mit ihm auch zukünftig nicht gelingen würde. Diese Trennung tat weh. Unerfüllte Bedürfnisse in diesem Kontakt blieben dadurch akzeptiert unerfüllt und lösten erst einmal den Schmerz der Sehnsucht aus, der bis dahin in Hoffnung auf ein Futur verlagert war. Ich trauerte, weil ich damit diesen Menschen nicht mehr begegnen und ein vertrautes Lernen aus meinen Leben verschwinden würde. Auch erschien es mir schwerer Sicherheit zu nähren, auch zukünftig immer wieder Ohren für unerfüllte Bedürfnisse zu haben. Jedoch gab es einen Raum der Fülle, in Form einer sonderbaren Nähe mit mir selbst. Mein Weggehen von meinem Assessor war eine klare Entscheidung, meine Bedürfnisse selbst zu erfüllen, statt zu hoffen, dass er Worte an mich in Taten umsetzt. Ich bekam eine Ahnung von dem Bedürfnis nach Integrität, ohne eine Idee dafür zu haben, wie ich gleichzeitig das Bedürfnis nach Miteinander zu erfüllen vermag.

Von meinem ehemaligen Betreuer im Anerkennungsprozess als Trainerin im Fachverband hörte ich von einer Methode Erkenntnis und Wachstum zu nähren: Thomas Abler würde eine Aufstellung von Bedürfnissen und dazugehörigen Strategien in Form von Interaktionen mit mir ausprobieren. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass sich dadurch Erkenntnis, Entwicklung und Verbindung erfüllen ließe. So zumindest habe ich sein Angebot anfangs verstanden und das, was ich da verstanden habe, machte mich neugierig.

Während des Aufstellungs-Interaktionsprozesses mit ihm regte sich ab und zu Widerstand in mir, eine Strategie auszuführen, bei der ich mir nicht gleichzeitig Authentizität erfüllen konnte; anders formuliert, in der ich keine Resonanz spürte, dass sich dadurch ein Bedürfnis von mir erfüllt außer jenes „ihm einen Gefallen zu tun“.

Unser Dialog dazu dauerte über die vereinbarten Experimentier-Termine hinaus, inspirierte mich und wie ich verstanden hatte, auch ihn.

Ich entdeckte, dass ich nur in Verbindung zu mir Wachstum erfüllen kann. Mein Widerstand war das Signal, dass ich diese Verbindung verloren hatte. Während einer Supervision mit einer bekannten Mediatorin in der GFK-Gemeinschaft kam ich in Kontakt mit einem Bedürfnis „Ich zu sein“. Sie berichtete davon, dass sie eine Methode lerne, um diesem Bedürfnis mehr Fülle zu geben, als sie es bisher üblicherweise in der GFK-Trainerschaft erlebt habe. (Hier gilt ebenfalls, dass ich sie so verstanden habe und aktuell nicht nachfrage, sondern meinem inneren Fluss folge und weiterschreiben möchte.) Ich sagte ihr, dass ich vermute, dass mein ehemaliger Betreuer etwas Ähnliches beabsichtigte und dass ich jetzt rückwirkend vermute, dass es bei diesen gemeinsamen Experimenten um das Bedürfnis nach Integrität ginge. Genau darum geht es bei diesen Aufstellungen, ließ sie mich wissen. Sonderbare Synchronizität, dachte ich.

Auch durch diesen Kontakt eröffnete sich, dass es mir seit nun schon einem halben Jahr um Verständnis für Verbindung mit Integrität geht.

Ich nahm unlängst an diesem GFK-Festival teil, das unter anderem Jürgen Engel organisiert hatte und nutzte die Chance des Angebots eines Empathie-Cafés. Ich berichtete von Erfahrungen der letzten Zeit, in denen ich Schmerz spürte, wenn ich außerhalb einer gegenwärtigen Gruppe stand, indem ich mich anders für mich einsetzen wollte, als es den kollektiven Strategien der Gruppe entsprach. Ich weiß nicht mehr, wieso ich plötzlich sagte, dass ich mich in meiner Art, um mich zu kümmern bereits als ganz erlebe und es mir nicht darum geht „diese Ganzheit zu verbessern“, sondern einfach mit dieser Ganzheit verbunden zu sein und sie nach außen zu vertreten. Mein Empathie-Buddy war berührt und nannte das Bedürfnis nach Integrität. In diesem Moment begriff ich mit allen Sinnen, was Integrität bedeutet. Bis dato existierte es in meinem Inneren eher als eine Definition.

„Zufälligerweise“, ich verwende das Wort bereits mit der Distanzierung, dass es gar keinen Zufall gibt, war ich Zeuge sowohl in meiner Übungsgruppe als auch bei einen meiner „Coachees“ wie diese Menschen in Kontakt mit dem Bedürfnis nach Integrität kamen. Es eröffnete sich mir eine Fülle von Ganzheitlichkeit und lebensbereichernden Strategien, wie sich Menschen Integrität erfüllen. Überall waren Integrität und diese große Freiheit in mir, wie unterschiedlich Menschen für sich selbst sorgen, ihr Leben meistern und auf ihre individuelle Art ganz sind. Das erlebe ich als ein großes Geschenk, als ob ich damit Gott selbst entdecke und auch eine der Säulen für ein Bewusstsein in Gewaltfreier Kommunikation.

Das Bedürfnis Integrität ist nun wiederbelebt, als Lebensbaustein von mir erkannt, sein Wert gewürdigt und gehört auch offiziell in meinem Leben. Ich begreife sogar, dass für mich Miteinander nur dann möglich wird, wenn ich in Verbindung mit Integrität bin und ich frage mich, ob es wohl im Bewusstsein für Integrität noch andere Strategien gegeben hätte, mir Sicherheit zu erfüllen, dass ich in der Beziehung zu meinem ehemaligen Assessor, auf Augenhöhe bleibe? Mir ist so, als ob allein zu begreifen, dass Integrität von mir als lebendiges Wesen nicht zu trennen ist, sich bereits Integrität erfüllt und für mich als vierten Schritt, lediglich dieses Bewusstsein zu halten seiner Erfüllung dient.