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Dominanzstrategien

Ein Beitrag von Susanne Kammermeier

„Ich will keinen Mittagsschlaf mehr machen!“
~ Lisa, 5 Jahre

Mein Nichte Lisa ist 5 Jahre alt und im Kindergarten. Dort muss sie sich jeden Mittag mit den anderen kleinen Kindern für 30 Minuten hinlegen und ausruhen. Als ich das letzte Mal mit meiner kleinen Nichte über Skype telefonierte, berichtete sie mir sofort von ihrem großen Unglück. Sie werde jeden Tag „gezwungen“ einen Mittagsschlaf zu machen, obwohl sie das gar nicht will und auch nicht müde ist. An dieser Stelle war guter Rat teuer, noch dazu da auch ihr Vater in der Skypekonferenz anwesend war und die Ansicht vertrat, dass man sich nun einmal an Regeln halten muss – und zwar jeder, ohne Ausnahme, ob man das wolle oder nicht.

In der Gewaltfreien Kommunikation betrachten wir die Bedürfnisse aller als gleich wichtig – egal ob 5 Jahre oder 50.

Die Bedürfnisse von Lisa waren schnell klar. Sie wollte lieber Spaß und Spiel mit ihren Freundinnen als sich durch 30 Minuten Langeweile zu quälen. Auch die Bedürfnisse der Erzieherinnen konnte Lisa klar benennen: „Die brauchen nämlich auch mal Ruhe und wollen sich unterhalten.

Lisas Vater war es wichtig, dass sein Töchterchen lernte Regeln zu akzeptieren und damit „gesellschaftstauglich“ für das spätere Leben zu werden.

Gesellschaftliche Konventionen durch Machtausübung durchzusetzen, sind Dominanzstrategien, die Menschen lehren, dass der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwingen kann, dass es clever ist sich aus dieser Position zu befreien, wo andere einem etwas zu sagen haben oder einfach dafür zu sorgen, nicht erwischt zu werden. Dominanzstrategien schädigen Beziehungen, da sie die Motivation der Beteiligten freiwillig zu kooperieren aushöhlen und dazu beitragen können, dass Selbstwertgefühl und innere Kraft schwinden. In der GFK streben wir Win-Win-Lösungen an, in der wir die Bedürfnisse aller Beteiligten würdigen. Lisa schlug ich daher vor, ihrer Erzieherin von ihrer inneren Qual im Morgenkreis zu erzählen und den Vorschlag zu machen, anstelle des Mittagsschlafs sich 30 Minuten ruhig mit Malen zu beschäftigen, so dass auch die Erzieherinnen ihre Ruhe haben können.

Ich weiß nicht wie das Experiment letztendlich ausging – doch Kinder dabei zu unterstützen ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, sie angemessen zu artikulieren und dabei auch die anderen im Blick zu halten, ist eine wichtige Aufgabe. Dies trägt zu einem wertvollen Teil unserer Gesellschaft bei. Kinder die in diesem Sinne aufwachsen, sind stärker gegen Missbrauch, Manipulation und Mobbing geschützt.

Achten Sie in den nächsten Tagen auf Situationen, wo Sie Machtausübung erleben und versuchen Sie, Vorschläge für Win-Win-Lösungen zu finden.