Foto: © AYSIA - stock.adobe.com

„Ich kann Sie verstehen!“ ist keine Empathie

„Ich kann Sie verstehen!“ Diesen Satz haben Sie sicherlich schon oft gehört. Doch hat Sie Ihr Gegenüber dann wirklich verstanden? 

Jeder Mensch hat seine eigene Lebensgeschichte, die Einfluss nimmt auf eine aktuelle Situation. Ich glaube, es ist eine Illusion, einen anderen Menschen wirklich verstehen zu können. Was wir jedoch können, ist, uns unserem Gegenüber empathisch anzunähern. 

Erst wenn Menschen in Ihren Anliegen gehört werden, sind sie bereit, die Anliegen der anderen ebenso zu hören. Häufig wird Empathie mit anderen Formen des Zuhörens verwechselt. Zum Beispiel mit Sympathie, Lösungsvorschlägen, Ratschlägen, Belehrungen, Beruhigung oder Mitleid. All das ist jedoch keine Empathie. 

Ich möchte Ihnen an einem Beispiel verschiedene Reaktionen zeigen, die häufig mit Empathie gleichgesetzt werden. 

Die Mitarbeiterin sagt zu einer Bekannten: „Stell dir vor, unsere ganze Produktionsstätte wird nach Polen verlagert.“ 

Sympathie  „Das kann ich gut verstehen, das war bei uns in der Firma ganz ähnlich.“ 
Ratschlag  „Da musst du dich schnell woanders bewerben.“ 
Verstärkung  „Ja, das ist die Globalisierung.“ 
Belehren  „Das kann ja auch ganz positiv sein. Du kannst neue Erfahrungen machen.“ 
Trösten  „Jetzt mach dir mal keine Sorgen, da wird sich sicherlich was anderes finden.“ 
Mitleid  „Oh Gott, das tut mir leid! Da wirst du es jetzt ganz schön schwer haben.“ 
Verhören, analysieren  „Wie ist es denn dazu gekommen?“ 
Erklären, rechtfertigen  „Also, so ist das nicht gewesen. Das war doch ganz anders gemeint. Das soll doch erst in fünf Jahren spruchreif sein.“ 
Eigene Meinung/ eigene Geschichte einbringen  „Das kenne ich, das ist beim U. Müller genauso abgelaufen. Du, stell dir vor, das war so und so….“ 
Ermutigung  „Komm, lass den Kopf nicht hängen. Das wird schon wieder.“ 
Verbessern  „Das hast du falsch verstanden. Die Produktion wird doch nach Tschechien verlegt.“ 

Der Glaube daran, dass wir für andere Menschen die Lösung finden müssen, dass wir Situationen in Ordnung bringen sollen oder intellektuell den ganzen Sachverhalt verstehen wollen, hält uns davon ab, präsent zu sein. Dann können wir nicht empathisch auf unser Gegenüber eingehen. Auch wenn Sie Mitleid haben, also mit-leiden und das Gleiche fühlen wie die andere Person, dann seien Sie sich bewusst, dass Sie in diesem Moment keine Empathie geben. 

Es ist wichtig, ein Bewusstsein zu entwickeln, in welcher inneren Haltung Sie sich gerade befinden. Fühlen Sie mit oder leiden Sie mit? Dann sind Sie in einem Zustand der Gefühlsansteckung oder in einer emotionalen Verstrickung. Im Zustand der Empathie können Sie klar trennen zwischen dem Ich und Du (Ich-du-anderen-Differenzierung). 

Beate Brüggemeier: „Wertschätzende Kommunikation im Business “ (Junfermann 2017)

Wir veröffentlichen den Auszug aus diesem Buch mit Einverständnis unseres Kooperationspartners Junfermann Verlag. Für uns ist dies Ausdruck eines gelebten Miteinanders für das wir uns herzlich bedanken.