ZUKUNFTSPARADOX – ZWISCHEN BESCHLEUNIGUNG UND ENTSCHLEUNIGUNG: Kongress und 30 Jahre Bundesverband Mediation e. V.

Ein Stimmungsbericht von Petra Porath

An einem nebeligen Tag reise ich aus dem Süden der Republik in die Hauptstadt. Nasse Schneeflocken empfangen mich. Erwartungsvoll blicke ich auf den Kongress ZUKUNFTSPARADOX – ZWISCHEN BESCHLEUNIGUNG UND ENTSCHLEUNIGUNG des mit 2700 Mitgliedern größten Mediationsverbandes im deutschsprachigen Raum, dem Bundesverband Mediation e. V.. Der Reiseführer in meinem Hotel verrät zur Lokation in Neukölln „Regelmäßig lustige Partys und sonstige Veranstaltungen in einem verwirrenden Gänge-Räume-Labyrinth“. Das klingt alles nach ziemlich viel Bewegung; Bewegung körperlich und geistig.

Gut, dass ich am Vorabend mit Angela Schnelle und Mercedes Reischel verabredet bin, um den Informationstisch des Fachverbandes zu gestalten. Dies hat auch eine erste Orientierung ermöglicht. Da das RollUp in einem Versand-Depot hängen geblieben ist, war Kreativität gefragt. So wurden die Taschen mit dem Logo des Verbandes gut sichtbar platziert, direkt gegenüber der Bar am Eingang.

Zur weiteren Einstimmung auf das Großstadtleben unternehme ich im vorweihnachtlichen Lichterglanz eine Fahrt mit der Buslinie 100 zwischen Alexanderplatz und Bahnhof Zoo, vorbei an den Wahrzeichen der Stadt.

Für die zwei Kongresstage sind vier Themenbereiche angekündigt:

„Unterschiede – das Salz in der Suppe“, „Bildung – das unausgeschöpfte Potential“, „Die Kraft des Scheiterns“ und “Gesellschaft in Spannung“ als Workshops, Denkräume, Inspirations-Slam und Best-Practice Beispiele.

Die Verleihung „Preis für Verständigung 2022“ für Innovative Methoden und Projekte in herausfordernden Zeiten, dotiert mit 2000 €, ist vorgesehen im Rahmen der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Bundesverbandes Mediation e. V.. Der Preis für Verständigung ist an folgende Projekte vergeben worden:

v.l.n.r. Laudator Prof. i. R. Dr.-Alexander-Redlich, Juergen von Oertzen, Christoph Besemer, Astrid Pulter und Maike Aselmeier

GESPRÄCHE AUS DER MITTE
Wie wir Spaltung und Ausgrenzung überwinden können
MAIKE ASELMEIER & CHRISTOPH BESEMER

CORONA-DENKRÄUME KARLSRUHE
Jürgen von Oertzen
Mediator BM® & Ausbilder BM®

#ZUSAMMENHALTEN PFORZHEIM
Corona Denkräume

 

 

 

 

 

Die Projekte sind in der Liste der Nominierten aufgeführt. Laudator war Prof. i.R. Dr. Alexander Redlich.

Online teilnehmen? Ging auch. Rund 160 TeilnehmerInnen hatten sich für die Online-Variante entschieden, um per Chat den Dialog zu suchen und 180 wollten in Präsenz teilnehmen.

Dr. Merjam Wakili, Mediatorin, Lehrtrainerin, Beraterin zum Thema Interkulturelle Kompetenz, moderiert. Mich hat das sehr beeindruckt: so viel Lebendigkeit.

Das als Video eingeblendete Grußwort von Prof. Dr. Edgar Franke, Parlamentarischer Staatssekretär, stockt zweimal nach „Sehr geehrte….“, „Sehr geehrte….“. Zufall oder Absicht? Ich frage mich, wie spricht man Menschen an, die sich an einem Ort für quere Kultur versammeln?  Mit einem Stottern von „Sehr geehrte … Mediator …  innen“? „Sehr geehrte Menschen“? Die Auflösung: „Sehr geehrte Damen und Herren, …“ ernüchtert mich. Da hätte ich mir schon etwas Innovativeres erhofft. Gleichzeitig schätze ich die Worte wie: „Krisen mit aufrichtigem, ehrlichem Dialog begegnen; in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren; an konstruktiven Lösungen arbeiten, …“ aus denen ich Ermutigung und Wertschätzung entnehme.

Gefreut hat mich im Grußwort von Prof. Dr. Lena Kreck, Berliner Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, zu hören, dass sie Mediation als wichtige Methode sieht, um Gesellschaftlichen Frieden herzustellen und die Betonung, dass eine gemeinsam erarbeitete Lösung mehr trägt als eine von Oben bestimmte.

Gleich im ersten Keynote von Prof. Dr. Christian Busch, aus den USA zugeschaltet, darf ich eine neue Vokabel lernen: „Serendipity“. „Halten Sie sich für einen Glückspilz?“ Zufälle nutzen, in jedem Gespräch „Haken setzen“, Krisen als Wendepunkte wahrnehmen, ….

Prof. Dr. Ina Goller verdeutlichte mir mit „Psychologischer Sicherheit“ wie wichtig die Sicherheit durch Menschen ist, die Art des Umgangs miteinander. „Ich fühle mich sicher, weil ich überzeugt bin, dass andere mir den „benefit of a doubt“ geben.“

Zwei Tage Wechsel von Keynotes – Workshops – Pausenzeiten mit anregenden Gesprächen, einem der Clubatmosphäre entsprechendem Fest-Abendprogramm, vergeht wie im Fluge. So viel Kompetenz, Rückenstärkung, ein Feiern und Nachvorneschauen.

Tiefe und umfassende Einblicke sind vom BM für Anfang 2023 in Aussicht gestellt über Videos, Interviews, Berichte auf dem Youtube-Kanal des Bundesverbandes Mediation e. V. , der Fachzeitschrift „Spektrum der Mediation“, der Webseite https://www.bm-mediationskongress2022.de/, …

Hier noch ein paar Stimmen, die ich auf dem Kongress vernommen habe und die zu Austausch animiert haben: „Was mir an der GFK nicht gefällt ist der Name.“, „Der arme Wolf!“, „Geht Mediation überhaupt ohne GFK?“

Mit zwei Mediatorinnen, die sich in der kostenfreien Konflikt-Hotline: 0800 247 36 76 (8.00 bis 20.00 Uhr) einbringen, bin ich ins Gespräch gekommen. Ca. 90 MediatorInnen engagieren sich hier. Besonders gefreut hat es mich zu hören, dass sich durch empathisches Vermuten von Gefühlen und Bedürfnissen Wirksamkeit erfüllt. Eine Rückfrage eines offenbar freudig-überraschten Anrufers hätte gelautet: „Sie wollen mir doch nicht etwa Gewaltfreie Kommunikation beibringen?“

Fragen zum Anerkennungsverfahren des Fachverbandes konnten am Info-Stand beantwortet werden. Schließlich war „Qualitätssicherung“ auch ein Thema im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit den Vorständen des BM Alexandra Bielecke und Uwe Boers, mit Vertretern aus Supervisions- und Coaching-Verbänden und einer Richterin. Hier hätte ich mir gewünscht, dass auch Gründungsmitglieder des Fachverbandes, die das Anerkennungsverfahren entwickelt haben, zu Wort kommen. Vielleicht beim nächsten Kongress in 2024?

„Wo wären wir ohne die Welt der Mediation?“, frage ich mich zum Abschluss, als all die Personen, die zum Gelingen des Kongresses beigetragen haben auf die Bühne gebeten werden.

Müde und erfüllt von so viel Kongressluft genieße ich es unter freiem Abendhimmel über einen  Weihnachtsmarkt zu schlendern, mir die kühle Luft, angereichert mit dem Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein um die Nase wehen zu lassen, und selbst hier einen Stand von MediatorInnen zu entdecken, die sich für das Klären von Konflikten im Kiez einsetzen. Mediation ist in der Gesellschaft angekommen, zwischen Beschleunigung und Entschleunigung.

Dankbar für all die Menschen, die hierfür in 30 Jahren und länger den Weg bereitet haben und der Verantwortung bewusst, die wir alle haben, um zu einer Welt beizutragen, die für Verständnis und Verständigung einsteht, klingt meine Berlin-Reise aus in der festen Absicht, dass die eigene Reise weitergeht und neugierig auf die nächsten Möglichkeiten, um sich mit TrainerInnen und MediatorInnen in Präsenz zu treffen, zu vernetzen, zu lernen und zu feiern.